 
        October 1999 
         
          
          19907 
          THE MUSIC OF ISLAM (17 CD BOXED SET) - VARIOUS 
          ARTISTS (1998 
          Winner of the Preis der deutschen Schallplattenkritik 
          [The 
          Annual Award of the German Music Critics]) 
         
        Orient im Aufriss  
          Die Musik des Islam · Eine CD-Edition
         Wütende Hörer beschweren sich beim Bayerischen Rundfunk, 
          fürchten offenbar um den Fortbestand des christlichen Abendlandes. 
          Wie man es wagen könne, die „Musik von Saddam Hussein“ 
          zu spielen. Was ist passiert? Wurden Kampflieder zum Sturz westlicher 
          Demokratien oder zur Ermordung umstrittener Dichter gesendet? Keineswegs. 
          Der BR sendete lediglich traditionelle außereuropäische Musik 
          – Beispiele aus „The Music of Islam“, einer auf 17 
          CDs angelegten, von David Parsons produzierten Anthologie. Sie stellt 
          eine editorische Meisterleistung dar, der eine besondere Bedeutung zukommt, 
          solange in unserer westlichen Gesellschaft die Fülle tief sitzender 
          Vorurteile und gefährlicher Feindbilder zu Wissen und Verständnis 
          islamischer Kultur in umgekehrt proportionalem Verhältnis steht. 
          Geistliche und weltliche Musik aus Ägypten, Indonesien, Marokko, 
          Tunesien, Türkei, Yemen, Pakistan, Quatar und Iran wird in 15 liebevoll 
          ausgestatteten und sehr kenntnisreich kommentierten Bänden vorgestellt, 
          die zwar allein erhältlich sind, deren Erwerb in der hübschen 
          Holzbox sich jedoch lohnt. 
        Jedes Album besitzt ein umfangreiches Booklet. Es enthält neben 
          einer ausführlichen Kommentierung der jeweiligen Aufnahmen auch 
          stets Einführungen in Musik, Geschichte und vor allem Kalligraphie 
          des Islam. Beispiele dieser Kunst ergänzen die Musik, ja stammen 
          bisweilen, wie im Falle von Nail Kesova (Vol. 9 und 14.), vom gleichen 
          Künstler. Beides verdeutlicht in welche unterschiedliche Richtungen 
          sich die Künste des Westens und des Islams verfeinert haben. Hat 
          sich bei uns die bildende Kunst, insbesondere die malerische Darstellung, 
          eine kulturgeschichtliche Vorrangstellung sichern können, so hat 
          der Islam, gemäß des religiösen Vorsatzes, sich „kein 
          Bildnis zu machen“, die Schriftkunst vervollkommnet, die dekorative 
          Eleganz mit religiöser Botschaft verbindet. 
        Ebenso spielt die im Westen hochentwickelte Harmonik keine Rolle gegenüber 
          einer von uns eher vernachlässigten hochdifferenzierten Rhythmik. 
        Renommierte Kairoer Studiomusiker – Mamdouh El Gbaly (Ud), Mostafa 
          Abd el Khalek (qanun), Mohammed Foda (nay), Khaled Gomaa (Tabalah), 
          Ibrahim Gommmaa (Duff) und Hesham El Araby (Riqq) – stellen kammermusikalische 
          Kleinode aus diesem Jahrhundert vor, darunter zahlreiche Solo-Improvisationen 
          (Taqsim). – Vol. 1 Al-Qahirah. Classical Music of Cairo, Egypt. 
        In einer Vollmondnacht auf einem getrockneten Flussbett aufgenommen 
          wurden „Qasidah“ (ein uraltes Vokalgenre, bei der die Poesie 
          von einer einseitigen Fiedel begleitet wird) und „Bida“ 
          (der Sänger wird begleitet vom fünfseitigen Zupfinstrument 
          Simsimiy-ya und einem antiphonischen Chor, der mit Händeklatschen 
          rhythmische Akzente setzt). – Vol. 2 Music of the South Sinai 
          Bedouins. 
        Eine Folklore-Truppe aus Assuan unter der Leitung von Fawzy Fawzy (Chor, 
          Tabalah, Tar und Ud) empfiehlt sich mit teils nostalgischen, oft aber 
          flott bewegten, pentatonischen Volksliedern, bei denen sich meist Vorsänger 
          und Chor Rede und Antwort stehen. – Vol. 3 Music of the Nubians. 
          Aswan, Egypt. 
        Da aus weltpolitischen Gründen keine Aufnahmen im Irak gemacht 
          werden konnten, entschied man sich für zwei hervorragende Musiker, 
          die in Baghdad geboren wurden und studierten, aber in der qatarischen 
          Hafenstadt Doha im Exil leben: Das Duo aus Ud-Spieler Mohammed Saleh 
          und Perkussionist Haitham Hasan (der mitunter im Overdub-Verfahren mit 
          mehreren Trommeln zu hören ist), zeugen von der hohen Improvisationskunst 
          klassischer arabischer Musik. – Vol. 4 Music of the Arabian Peninsula. 
          Doha, Qatar. 
        Tontechnisch zwar etwas problematisch, dafür aber in ihrer Authentizität 
          bewegend, geriet diese von religiöser Hingabe und Trance zeugende 
          Live-Aufnahme einer Sufi-Zeremonie, durch die die Anhänger den 
          heilenden Segen von Scheich ben Aisa, ihres spirituellen Lehrers aus 
          dem 16. Jahrhundert, empfangen. – Vol. 5 Aissaoua Sufi Ceremony. 
          Marrakesh, Morocco (2 CDs). 
          Die Gnawa sind wie die Assiaoua eine Bruderschaft. Auch ihre „lila“-Zeremonie, 
          von der hier Beispiele erklingen, dient der Hingabe und der Heilung 
          Kranker, doch kommen die schwarzafrikanischen Wurzeln auch in ihrer 
          Musik stark zum Tragen. – Vol. 6 Al-Maghrib. Gnawa Music. Marrakesh, 
          Morocco. 
        An Musik, die im einst islamischen Andalusien gespielt wurde, knüpft 
          ein vom Violinisten El Kacimi Mohamed geleitetes Quintett an. Trotz 
          ihrer Weiterentwicklung – die Geige etwa kam erst im 18. Jahrhundert 
          nach Marokko – erinnert diese Musik an die islamischen Einflüsse 
          in unserer mittelalterlichen Musik. – Vol. 7 Al-Andalus. Andalusian 
          Music. Tetouan, Morocco. 
        Die Gruppe des Sängers Lofti Jormana empfiehlt sich durch das 
          rhythmisch entfesselte Spiel einer vierköpfigen Perkussionsgruppe 
          und dem expressiven Mizwid-(Dudelsack-) Spieler Abdessalem Zarga. – 
          Vol. 8 Folkloric Music of Tunesia. 
        Der im 7. Jahrhundert vom Mystiker Jalal ad-Din ar-Rumi gegründete 
          Orden der Mevlevis führt in Vol. 9 das seit dem 13. Jahrhundert 
          praktizierte Sema-Ritual vor, mit dem sie als „wirbelnde“ 
          oder „tanzende Derwische“ auch im Westen ein Begriff sind. 
          Das von Nail Kesova geleitete „Galata Mevlevi Music and Sema Ensemble“ 
          ist auch auf Vol. 14 mit Hymnen und mys-tischen Gesängen zu vernehmen. 
          Beide in der Türkei entstandenen Alben beeindrucken mit würdevoll 
          versunkener Musik, die den Eindruck vermittelt als würde die Zeit 
          stillstehen. – Vol. 9 Mawlawiyah Music of the Whirling Dervishes 
          und Vol. 14 Mystic Music Through the Ages. 
        Innerhalb des Islams ist umstritten, inwieweit Musik an religiösen 
          Zeremonien Teil haben darf: Koran-Rezitation, schon in den ersten Jahren 
          des Islams aus einer älteren schamanistischen Gesangstradition 
          entstanden, wird offiziell sogar überhaupt nicht als Musik betrachtet. 
        Dennoch basiert das zwischen Vortrag und Gesang angesiedelte Genre 
          auf den gleichen Gesetzen wie die arabische Kunstmusik (Modi, Improvisation 
          und so weiter). Auch wer des Arabischen nicht mächtig ist und die 
          Glaubensinhalte nicht teilt, dürfte von der Inbrunst und der expressiven 
          Vokalkunst der fünf Rezitatoren tief berührt werden. – 
          Vol. 10 Qur’an Recitation. Istanbul, Turkey. 
        Typisch für Yemen ist die Sitte des Magyal: regelmäßige, 
          mehrere Stunden dauernde Treffen von Freunden, Verwandten oder Kollegen, 
          für die Yemeniten bis zur Hälfte ihres Einkommens ausgeben, 
          dadurch den sozialen Status des Gastgebers unterstreichen und zugleich 
          die Funktion einnehmen, die bei uns Konzerte haben. Ein solches Magyal 
          professioneller und aufstrebender junger Musiker und Sänger wurde 
          hier mit vielen Liebesliedern festgehalten. – Vol. 11 Music of 
          Yemen. Sana’a, Yemen. 
        Agha-ye Sadjadifard (Santur, Hackbrett), Agha-ye Djamshidi (Kemenche, 
          Fiedel) und Agha-ye Sahihi (Percussion) gestalten ein berückendes 
          kammermusikalisches Programm mit einem hohen Anteil kurdischer Volksmusik. 
          – Vol. 12 Music of Iran. Karaj, Iran. 
        Der berühmte Vokalist Ustad Bary Fateh Ali Khan wird auf drei 
          Ragas unter anderem vom ausdrucksvollen Sarangi-Spieler Ustad Nazim 
          Ali Khan begleitet. – Vol. 13 Music of Pakistan. Lahore, Pakistan. 
        Dieses Doppelalbum enthält vielleicht die ausgefallensten Aufnahmen 
          der Kollektion, zumal bislang fast nur die balinesische und javanische 
          Musik Indonesiens Beachtung gefunden hat: Schamanistische Gesänge, 
          mit denen wilde Tiger gefangen werden, ekstatische Trommelwettstreite 
          bei einem Tabuik-Festival (hier stehen sich Gruppen gegenüber, 
          die sich gegenseitig aus dem Takt bringen und deren Anführer sich 
          in Trance sogar selbst Wunden zufügen) und Gesangsgruppen junger 
          Mädchen. – Vol. 15 Muslim Music of Indonesia. Aceh and West 
          Sumatra (2 CDs). 
        
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